Was haben Joseph Haydn und Dorli Muhr gemeinsam? Es sind zwei Dinge, mindestens. Zum einen ist es das Gespür für die feinen, leichten Töne. In der Musik, wie im Wein. Und es sind die Wurzeln.
Haydn und die Großmutter von Dorli Muhr stammen aus Rohrau. Einer kleinen Gemeinde im Carnuntum, zwischen Göttlesbrunn und Prellenkirchen. Und diese Wurzeln begleiten sie bis heute. Mittlerweile sogar tief verwurzelt. Terroir ihr Thema, ihre Leidenschaft. Spielte Haydn für ein anderes Weingut, legte die Großmutter mit einer kleinen Weinbergparzelle als Hochzeitsmitgift den Grundstein für eine neue Weingeschichte.
Spitzerberg meets St. Pauli
Nicht unweit des heißen Pflasters in Hamburg wurden für eine Verkostungsvertikale die coolen Weine von Muhr-van der Niepoort entkorkt. Und so konnten alle Gäste die Idee des Weinguts mit allen Sinnen wahrnehmen. Von der Donau also ins Nil. Einer Institution für beständigen Geschmack in Hamburg. Hier wird Nachhaltigkeit gelebt, hier ist Freundschaft spürbar. Auch zwischen den Patroninnen. Im Nil fand auch der erste Jahrgang der Muhr van der Niepoort Weine ins Glas. Das war 2002.
Seit dem hat sich viel getan am und auf dem Spitzerberg. Wobei Zeit und Schnelllebigkeit keine Rolle spielen. Im Gegenteil. Der Berg war einst österreichischer Vorzeigeweinberg. Aber so wie die Erinnerung an die k.u.k. Monarchie verblasste, geriet auch der Spitzerberg in Vergessenheit.
Auch Dorli Muhr zog es in die Ferne. Sie widmete sich den Sprachen und wurde Dolmetscherin, dank eines Winks des Schicksals, mit dem Schwerpunkt Wein. Önologisch bildete sie sich gemeinsam mit Gernot Heinrich fort. Den Traum vom eigenen Wein wollte sie verbinden mit dem Traum und Wohlfühlklima des Südens. Die Toskana sollte es werden. Doch nicht mal im Traum passte die Weinstilistik, die dort umsetzbar ist, zur realen Vorstellung von Wein, die in Dorli Muhr schlummerte. Es ist Rotweinliebe. Dabei geht es ihr um Frische, Kühle, Feinheit, Esprit und Eleganz.
Diese Lehre manifestierte auch ihr liebevoller Weg nach Portugal. Mit dem Blick aus der Ferne und dem gewonnenen Geschmacksprofil öffnete sich der Horizont und der Spitzerberg trat wieder ins Blickfeld. Aus kargen Versuchen entstand über die Jahre ein reicher Schatz.
Der Spitzerberg liegt außerhalb des klassischen Carnuntum um Göttelsbrunn. An die hundert Weinbauern hatten dort kleine Parzellen für den eigenen Feierabendwein. Jeder sein Fässchen. Verschenktes Glück. Denn die Rebstöcke dort sind mitunter bis zu 65 Jahre alt.
Doch wie kommt man an die Trauben wenn man keinen Genossenschaftswein, sondern die eigenen Ansprüche umsetzen möchte. Nicht nur zu Risiken und Nebenwirkungen lässt sich der Arzt oder Apotheker fragen. Auch in Sachen Wein als Lebenselixier hilft ein Aufruf. Im Wartezimmer des Gemeindearztes. Und so meldeten sich immer mehr in die Jahre gekommene Herren und Weinbergparzellen, um ihre Reben in die Hände von Dorli Muhr zu geben.
Was sich daraus in 16 Jahren entwickelt hat zeigt nun die Weinvertikale der „aktuellen“ Jahrgänge 2014 bis 2016. Hier wurde gleich deutlich was für ein Segen Jahrgangsunterschiede sind (immer wieder ein Wort wert!). Uniformität kennt die Natur nicht, aber leider die Industrie, die so viele „Naturprodukte“ in den LEH schütten.
Während Hamburg seinen einzigen Weinberg, den Stintfang, rodet, konnte das Weingut Muhr-Van der Niepoort die vielen alten Reben am Leben halten. 12 ha sind es mittlerweile. Darunter ein paar Probierfelder, aus denen auch beeindruckende Weine entstehen! Vornehmlich gilt die Passion aber einer Rebsorte: dem Blaufränkisch. Dieser zeigt sich im Klima des Spitzerbergs von einer besonderen Seite. Kühler, karger, aber eben auch filigraner. Der Berg lässt sich geologisch in 3 Stufen einteilen. Im höchstgelegenen Teil wird der Boden regelmäßig abgetragen, was am Fuße des Berges zu einer Ansammlung der Sedimente führt. So ergeben sich je nach Höhenlage der Weinberge schmeckbare Unterschiede. Herrscht in Göttlesbrunn Lehm und Löss vor, sind es hier Kalt und Sand. Keine feuchtigkeitsabsorbierenden Böden. Man muss mit Trockenheit leben. Bzw. die Reben. Alpen und Karpaten sind die geografischen Eltern des Spitzerbergs. Klimatisch wird er von den warmen Winden geprägt, die aus dem Süden vom Neusiedlersee heraufströmen. Diese blockieren auch Schlechtwetterwolken, so dass man auf eine Niederschlagsmenge von 400 mm kommt. Hamburg hat mit fast 800 mm im Durchschnitt doppelt so viel.
Drei Parzellen mit den ältesten Rebstöcken sind es auch, die den Spitzenwein des Hauses ergeben. Das ist die Ried Spitzerberg. Die Jahrgänge könnten unterschiedlicher nicht sein. Das Jahr 2014 verregnet. 2015 heiß, 2016 ausgewogen. Ein Yoga-Jahrgang.
Auch im Glas ist jeder Wein ein Individuum, von der Farbe, seinem Duft und den Aromen. Nuancen, die Terroir erlebbar machen. 2014 duftet nach Kräutern, etwas Tabak. 2015 mit aromatischem Wacholder und 2016 mit etwas Frucht. Schlank und fein sind sie alle.
Eine Liebeserklärung an den Berg steckt in der Ried Kobeln, dem sogenannten Liebkind. Ein Glücksfall. Die Lage fand 2008 zu Dori Muhr. Davor lag sie 15 Jahre brach. Ein wilder, der Natur überlassener Weingarten, dem genau so natürlich neues Leben eingehaucht wurde. Auf 1,5 h wachsen gerade mal 1.000 kg Trauben. Wenig Ertrag, viel Extrakt. Auch hier sind alle drei Jahrgänge ganz eigenständig. Bei aller Feinheit haben die Jahrgänge sehr expressive Gerbstoffe und eine lebendige Frische. Sie fordern eine Weisheit, die die alten Weinbauern der Region über die Jahrzehnte verinnerlicht und gelebt haben. Gut Ding will Weile haben. Ein Motto das jedem Winzer aus der Seele spricht, das Weintrinker aber in Sturm und Drang Zeiten wieder lernen müssen.
Den Einstieg in den Berg kann man mit dem Wein namens Samt & Seide erleben. Hier sind die Reben 15 bis 30 Jahre alt. Die Textur gibt den Weinen ihren Namen. Aber nicht nur aus dem Blaufränkisch macht der Spitzerberg Spitzenweine. Die Rebsorte Syrah wird im Sydhang zu einem animalischen Trinkvergnügen.
Zuletzt gab ein Weinbauer einen Weingarten in Prellenkirchen ab. Dass dort nicht Rotwein, sondern Weißwein wuchs, erwähnte er erst später. Und so bereichert das Portfolio seit 2011 eine spannende Weißwein-Cuvée aus Grüner Veltliner und etwas Riesling. Die Riesling-Rebstöcke mindestens aus den 1950iger Jahren. Auch hier zeigen die Jahrgänge ’14, ’16 und ’17 unglaublich überraschende und unterschiedliche Weine. 2014 erinnert vom Duft an gereiften Riesling. 2016 ist ein echtes Phänomen. Man möchte glauben man rieche in eine Beerenauslese hinein. Was sich auch durch die Farbe und die Viskosität beim Schwenken begründen ließe. Geschmacklich zeigt er sich dann aber mit mürben Gerbstoffen und klassisch trocken. Eine echte Entdeckung!

Den Abschluss dieser Verkostungs-Zeitreise macht ein Portwein, der natürlich der Vita entspringt. Auch eine absolute Geschmacksbereicherung. Zwetschgenröster mit frischer Süße und packendem Tannin. Ein Port, der der Familie sicherlich alle Ehre macht.
Die Küchencrew des Nil griff das Thema Terroir ganz bodenständig und im Zeichen der Weinphilosophie mit einer Pasta auf, die von Kräutersaitlingen geerdet und Zuckerschoten erfrischt wurde.
Schließlich strömten alle Gäste in einen sonnigen milden Februartag. In der Nase Frühling und am Gaumen die Erinnerung an Rotweine, die durch ihre Frische und Feinheit bei weitem nicht nur die dunkle Jahreszeit erhellen. Ode an die Freude! Aber das ist Beethoven, ein Schüler Haydens.