Einatmen. Und ausatmen. Ich sitze am Esstisch, atme tief durch. Nicht um im Homeoffice zu meditieren, nicht um meine Lungenfunktion zu testen, um an einem Mostello zu schnuppern, dann aus Frust. Das genussvolle Atmen wandelt sich in ein schweres Atmen. Denn es ist eine Sünde, zu wissen, dass Destillate zur Zeit im Schatten von reinem Alkohol zum Desinfizieren stehen.
Natürlich hat Gesundheit Priorität. Aber Genuss darf auch nicht zu kurz kommen. Die Brände der Farthofers erwärmen die Seele, sind Balsam und helfen auch durch schwere Zeiten – als Desinfektionsmittel.
Diesen Solidaritäts-Beitrag leistet der österreichische Familienbetrieb aus dem Mostviertel, zwei Stunden von Wien entfernt, in der derzeitigen Krise. Man kann nur hoffen, dass die köstlichen Frucht- und Natur-Aromen bald wieder aufblühen, so wie es die Blüten der Fruchtbäume jetzt um Frühling tun, um für die Nächste Ernte Freude zu bereiten. Die nach Birnen schmeckt. Und Nackthafer. Und vielem mehr.

Es hätte ein ProWein Portrait werden sollen. Mit Nähe. Zum Produkt, vor allem aber zu den Menschen, die diese Köstlichkeiten herstellen. Mehr Nähe zum Produkt kann man auch aus der Distanz eigentlich nicht haben. Denn es ist alles Bio. Man ist ganz nah an der Natur. Und wurde bereits 2008 für nachhaltige Wirtschaft für den Klimaschutz-Preis nominiert. Vom Feld in die Flasche, so lautet auch das Motto der Destillerie Farthofer. Sämtliche Rohstoffe kommen aus der näheren Umgebung. Sogar eine eigene Wasserquelle haben sie auf ihrem Stück Land.
Von der Ziegelbrennerei zur Schnapsbrennerei
Seit über 150 Jähren machen sie dem Mostviertel alle Ehre. Aus Steinobst und Kernobst entstehen kostbare und köstliche Brände. Allein 12.000 Birnenbäume wachsen hinter dem Kellerhaus, das einst eine Ziegelbrennerei war. Die Kreativität, sich weiterzuentwickeln hat man sich in der Familie Farthofer bis heute bewahrt.

Wenn Wein Farth aufnimmt
Eine Eigenkreation der jüngeren Familiengeschichte und 5. Generation ist der Mostello. Gemacht aus Birnen, die vor idyllischem Alpenpanorama, auf sanfthügeligem Land wachsen, entsteht ein Unikat, der Mostello. Das ist ein sanftbrennender Birnendessertwein, der beim ersten Schnuppern nicht nur an Portwein erinnert, er wird auch nach Portwein-Methode hergestellt. Vor 15 Jahren entstand der erste Vintage, der 2014, mit 9-jähriger Reife erstmals die Gaumen berührte. Dafür werden 4 autochtone Mostviertel-Birnensorten von Hand geerntet, schonend gepresst und vergoren. Die Gärung wird durch Mostbirnendestillat gestoppt. Anschließend reift er im Eichenfass. 3 Jahre im Kellerhaus von 1874 und 1 Jahr an der alpinen Luft. Die großen Temperaturschwankungen machen den Unterschied zum Portwein, der nur bei wärmerem Klima reift. Temperaturen von +30 bis -20 °C kitzeln einzigartige Aromen heraus. Wird der Mostello dann auf die Flasche gebracht, geschieht das naturbelassen und unfiltiert. Seine Farbe: strahlender Bernstein. Sein Aroma erinnert an Port und Süßwein, der Geschmack allerdings deutlich Birne. Birne mit Schale, Gerbstoffe schwingen mit. Feine Fruchtsüße, ohne Zuckerklebrigkeit, begleitet von Frische und Kühle. Die Birnenaromatik verstärkt sich noch, wenn man etwa einen gereiften, kristallinen Comté Käse dazu isst.
Ein Erlebnis ist auch die Mostelleria, in der man sich selbst ein Bild über die Herstellung der Produkte machen kann.

Mit dem zweiten Produkt nähere ich mich dem Desinfektionsalkohol … Von 20 % Vol. geht es rauf auf 45,7 % Vol. Die Fassprobe eines österreichischen Whiskys kommt ins Glas. Genau, aus einem Mostellofass. Auch diese hochprozentige Lebensqualität lagert mindestens 3 Jahre darin. Geschmeidige Karamellnote in der Nase, am Gaumen frisches reines Getreide. Aber so was von. Sehr angenehm, gerade wenn einem die Schottischen Aromen von Rauch und Torf zu heftig sind. Hier öffnet sich einem sofort das Bild eines Getreidefelds an einem warmen Spätsommertag vor Augen. Kurz vor der Ernte. Goldgelbe Gedanken lassen auch das Händedesinfizieren vergessen. Ich werfe mich in das Getreidefeld und atme tief ein und aus.
