Von Experimenten und echten Exemplaren – die Wahrheit zeigt sich im Glas. Bei manchen Weinen bleibt einem die Luft weg, anderen geht die Luft aus.
Der Focus war auf Genussmacher Tour. Und präsentierte eine neue österreichische Weingeneration. Die Winzer(avant)garde wurde mit jung, (bio)dynamisch, natürlich angekündigt. Der Event, moderiert von Gerhard Retter aka #retterbericht und Florian Schutky vom ÖWM (keine österreichische Partei, sondern das österreichische Wein Marketing), fand im Witwenball statt, Hamburgs Weinlocation schlecht hin.
Zu der wieder einmal ausgezeichneten Küche, die 5 Gänge an den Tisch brachte, wurden je 2 Weine eingeschenkt. Immer einer aus der „Kategorie“ Klassik und ein junger Wilder, zumeist Natural bis Orange. Die Weinpaare harmonierten selten miteinander und ließen sich zueinander nicht vergleichen. Sie zeigten allerdings ihre ganz individuelle Kraft und Wirkung zu den Speisen, oder auch nicht. Zu fortgeschrittener Stunde öffnete dann am Tresen die „Weinbar“, wo weitere Weine verkostet werden konnten. Aber der Reihe nach.
Als Apero gab es einen Blanc de Blancs Reserve von Schlödl aus dem Weinviertel. Ein Sekt vom Chardonnay. Sehr fein! Dazu aus der Riege jung, natürlich und wild ein Petnat von Fuchs und Hase, dem Projekt von Alwin Jurtschitsch und Martin Arndorfer. Volume 4 ist eine Cuvee von Veltliner, Muskateller und Müller-Thurgau. Die Cuvee Vol. 2, kürzlich erst getrunken, war allerdings deutlich geschmackvoller und mit sortentypischer Muskateller-Aromatik ausgestattet. Vielleicht hat es in unserer Flasche aber auch einfach anders gegärt als in den weiteren Flaschen und Vol. 4 hat sich den übrigen Gästen duftiger offenbart – nach dem Motto „In jeder siebten Flasche, ist eine Überraschung dabei“.
Gang 1: Ziegenkäse, bunte Beete, Berberitzen.
Dazu im Glas: Roter Traminer, Ried Steintal „1STK“, Jahrgang 2015, von Neumeister aus der Steiermark. Einfach meisterlich! Und ein Neuburger Namens „betont“ von Markus Altenburger. Wie der Name verspielt verrät, im Betonei gereift. Geschmacklich auch gut, allerdings verlor er mit dem Essen an Ausdruck, und entwickelte keine neue Facette, wie es dem Traminer spielend gelang.
Gang 2: Tuna Tataki, Yakumisauce, Kresse.
Im Glas ein Riesling vom Weingut Schauer. Und ein Welschriesling „Nolens Volens“ von Kolfok, dem Projekt von Stefan Wellanschitz.
Für deutsche Gaumen sind österreichische Rieslinge meist zu filigran, doch hier glaubte man glatt ein Goldtröpfchen zu schmecken. Kein Wunder, denn der Riesling wird zum einen in Moselstilistik ausgebaut zum anderen wachsen die Trauben auf Schiefer auf 700 Metern über dem Meeresspiegel. Auch eine Einzigartigkeit in Österreich. Und 40 g Restzucker. Daher auch der Name Kabinettstück. Perfekt zu dem sehr guten zweiten Gang.
Unser Sitznachbar, ein geschmackvoller älterer Herr, geriet sogleich ins Schwärmen. Inspiriert vom Süß-Säure-Spiel zählte er sogleich ein paar Gerichte aus Stevan Pauls Kochbuch „Meine japanische Küche“ auf, die dazu vortrefflich passen würden.
Zum Abschluss des Abends ließ er sich dennoch einen deutschen Riesling aus dem Rheingau von der Karte des Witwenballs bringen …
Der Welschriesling war für sich und für einen Welschriesling auch ein klasse Wein, der mit einem Duft von Lakritz überraschte.
Gang 3: Perlhuhn-Pastrami, Pfifferlinge, Kürbis und Brombeere.
Im Glas trat die Wachau gegen die Weststeiermark an. Ein Grüner Veltliner gegen einen Weißburgunder. Das Weingut Grabenwerkstatt gegen das Weingut Strohmeier, die mit Trauben, Liebe und Zeit einen Lysegrön No. 5 auf die Flasche bringen. Der Wein ist nicht nur vom Namen eine Reminiszenz an Dänemark und den Sommelier des ersten Noma, der das Weingut entdeckte und auf die Karte setzte. Der Wein ist allerdings auch alles andere als „hygge“ oder „lagom“. Mit diesem Wein muss man sich auseinandersetzen. Die Sommeliere vom Sylter Söl’ring Hof, auch unter den Gästen, war nicht zimperlich, verschloss das Glas mit ihrer Hand und schüttelte es ordentlich. Zu Liebe und Zeit braucht es also auch noch eine gehörige Portion Luft, was aber zur Philosophie der Wertegemeinschaft „Schmecke das Leben“ passt, der sich das Weingut Strohmeier verschrieben hat.
Der 2017er Veltliner „Grabenwerk“ zeigte bereits Reifenoten. Das Weingut Grabenwerkstatt ist ein Projekt eines Pfälzers – Michael Linke – und eines waschechten Wachauers – Franz Hofbauer. Kommentar Gerhard Retter: „Der Ösi heißt natürlich Hofbauer“. Kennen und gelernt haben (sich) beide in Neuseeland bei Pyramid Valley Wineyards.
Gang 4: rosa gebratener Tafelspitz, Möhre, Polenta, Zitrusjus.
Dazu ein steirischer Chardonnay des Weinguts Tauss vom Lehmboden, daher auch der Name „Opok“. Und der erste Rotwein, ein „Saint Laurent“ aus dem Burgenland von Rosi bzw. Hannes Schuster. Ein sehr feiner, pinotartiger Sankt Laurent. Der Chardonnay, kein „Kaminwein“, machte sich zum Tafelspitz aber sehr gut.
Gang 5: Cheesecake, Aprikose, Cookiecrumble
Ein Lächeln zauberte einem nicht nur das Dessert auf die Lippen. Die Weine dazu waren der Hammer! Wenn man Süßweine mag. Im „Klassikerglas“ eine Muskateller TBA (TrockenBeerenAuslese) von Tement aus der Steiermark. Im „Interessantglas“ die Ruster Ausbruch Cuvée „Saz“ vom Weingut Wenzel aus dem Burgenland, Jahrgang 2007, klassischerweise mit Furmint-Trauben. Bernsteinfarbener Likör! 264 g Restzucker. Beide Süßweine waren einfach herausragend. Und das Foodpairing mit der Säure des Topfens und der Marille ebenfalls erstklassig. Zusammen: Outstandig, Austria. Restzucker is a powerful drug …
Kurz verschnaufen und ran an die Bar, es warteten schließlich noch 16 Positionen zum Verkosten. Darunter namhaftes, wie die Pannobile Cuvée von Pittnauer. Die „Non-Tradition“-Cuvée von Christian Tschida, beide aus dem Burgenland.
Und auch der ein und andere Sauvignon Blanc. Beispielsweise der „Urwerk“ von Ernst Triebaumer, Jahrgang 2015. Der „Ex Vero I“ von Werlitsch und von Johannes Zillinger – Namensvetter des im Nachbardorf des Weinviertels beheimateten Herbert Zillinger – den „Numen Fumé blanc“, dessen Duft nach Kaffee und Holler eine Mitarbeiterin des Weinladen St. Pauli sehr verzückte.
Ein Riesling aus der Ried Loiserberg von Jurtschitsch konnte unserem Geschmacksvergleich in Sachen Feinheit und Finesse mit Fred Loimers Loiserberg Riesling nicht standhalten.
Bei so viel Auswahl und bereits verkosteten Weinen fiel es schwer noch auf Gaumenentdeckungsreise zu gehen. Da half nur eines um kein Cordoba zu erleben, Gerhard Retter nach Empfehlungen zu fragen. Die drei Tipps brachten dann auch tatsächlich noch geschmackvolles ins Glas: von der Wagram einen Veltliner des Weinguts Direder, Ried Schlossberg, einen Sauvignon Blanc von Kögl aus der Südoststeiermark und einen wirklich guten und filtrierten Orange-Sauvignon von Frauwallner Straden, Jahrgang 2015.
Auf jedem Platz hatte der Focus mit dem ÖWM ein Infoheft ausgelegt, sehr hilfreich, um den Überblick bei der Vielzahl an Weinen, Aromen und Macharten zu behalten. Als Give away gab es ein paar lederne, weiß-rote Arbeitshandschuhe, in erster Linie Ausdruck der handwerklichen Arbeit der Winzer, wohl aber auch, um zu Hause nicht nur die Heide mit sauberen Händen im goldenen Herbstlicht in die Übertöpfe zu pflanzen, sondern die bei den Winzern bestellten Kisten unverletzt in den Weinkeller zu tragen.
So viele Trauben von so vielen Winzern mit Liebe und Zeit zu Wein gemacht zu kosten ist spannend, allerdings auch anstrengend. Nicht immer köstlich, aber eine kostbare Erfahrung. Mit der Erkenntnis: die Orange-Wein-Bewegung bringt sicherlich ein gutes Bewusstsein für Natürlichkeit, richtig gut schmeckt Wein aber wenn zum natürlichen Umgang auch eine feinsinnige Vinifikation für eine nachhaltig gute Qualität sorgt.
Danke an das Eventteam für die Auswahl der Weine und an das Team des Witwenballs für einen großartigen Abend mit entspanntem, sehr nettem Service und toller Küche!